Die Situation
Schon vor einigen Wochen machten wir uns Gedanken darüber, wie man das Thema Erinnern und Gedenken über Fotografie/Kunst o.ä. vermitteln kann. Die Idee war, ein ganz konkretes, heutiges Ereignis zum Anlass zu nehmen. Da schien der zu bayerischen Wahlkampfzeiten aufkommende Skandal um ein antisemitisches Flugblatt nahe liegend. Mittlerweile haben größere Ereignisse diese Vorkommnisse in der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt. Der Krieg in Nahost mit ungeheuren Gewaltexzessen gegen Jüdinnen und Juden sowie weltweite antijüdischer Aktionen und Ausbrüche bestimmen die tagesaktuellen Nachrichten. Ein über einen langen Zeitraum vorhandener latenter Antisemitismus tritt auf vielen Ebenen zutage. Die Erinnerung an die deutsche Geschichte und die besondere Verantwortung unserer Gesellschaft wird daher umso drängender.
Gedanken zur Ausstellung
Um die Bilder einordnen zu können, ist es hilfreich sie als “fotografische Illustrationen” zu verstehen. Sie beschäftigen sich mit einem jugendlichen Fehltritt in Form eines antisemitischen Textes, der nach Jahren die damit Befassten einholt und die politische Karriere gefährdet, sowie das in der Öffentlichkeit vermittelte Bild eines rechtschaffenen Volksvertreters ankratzt. Die Fotografien verdeutlichen die Versuche der Relativierung des Vorfalls, das Ablehnen und Weiterreichen von Verantwortung, die Selbststilisierung als “Opfer” einer Intrige, mangelnde Einsicht in die Schwere und Bedeutung der Aussagen eines “Pamphlets”, das Vorschieben von Erinnerungslücken.
Ganz generell stellt sich die Frage, was es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen, sich der Vergangenheit zu stellen und die richtigen Fragestellungen daraus abzuleiten. Aus der Geschichte Folgerungen, Schlüsse zu ziehen und gleichzeitig Handlungsperspektiven zu entwickeln. Die fotografische Serie illustriert das Spannungsfeld zwischen individueller Verantwortung (was die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für das eigene, individuelle Handeln mit einschließt) und der Fähigkeit einer Gesellschaft, Erinnerung kollektiv wach zu halten und immer wieder zu erneuern.
Die Bilderserie endet mit einem Zitat von Eugen Kogon:
“Geschichte ist das Arsenal unserer Erfahrungen; man muss sie kennen, um aus ihr bestätigt oder gewarnt zu werden.”
Ergänzt werden könnte das Zitat von Kogon durch ein weiteres Zitat von Norbert Elias:
“Die ‚Umstände', die sich ändern, sind nichts, was gleichsam von ‚außen' an den Menschen herankommt; die ‚Umstände', die sich ändern, sind die Beziehungen zwischen den Menschen selbst. Der Mensch ist ein außerordentlich modellierbares und variables Wesen.”